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Titel
Bier und wir. Geschichte der Brauereien und des Bierkonsums in der Schweiz


Autor(en)
Wiesmann, Matthias
Erschienen
Baden 2011: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Martin Lüpold

Die Geschichte der Brauindustrie und des Biertrinkens in der Schweiz ist, wie das vorliegende Buch deutlich macht, nicht nur ein Stück Unternehmensund Wirtschaftsgeschichte, sondern ebenso ein Kapitel der Konsum- und der Arbeitergeschichte und auch eine Geschichte von Produktionstechnik und Marketing. Der Autor ist Wirtschaftshistoriker und gilt seit seiner Lizentiatsarbeit als Branchenspezialist. Er hat nun die Gelegenheit genutzt, mit Unterstützung des Branchenverbands ein ebenso schönes wie nützliches Überblickswerk zu verfassen.

Von den elf Kapiteln befassen sich fünf mit der Entwicklung des Gewerbes zu einer Fabrikindustrie. Vier Kapitel behandeln die Entwicklung des organisierten Kapitalismus in der Bierbranche im späten 19. und im 20. Jahrhundert. Zuletzt geht es um die Zeit seit 1990 mit dem Auftritt multinationaler Konzerne und dem erneuten Aufkommen von Kleinbrauereien. Immer wird deutlich, wie die Brauer einerseits Entwicklungen mitgestaltet haben, andererseits auf vielfältige Einflüsse reagierten.

Die Schweizer waren nicht von Anfang an Biertrinker, vor allem nicht auf dem Land. Der unverstandene Produktionsprozess führte bis ins 19. Jahrhundert zu Qualitätsproblemen (S. 38f.). Trotzdem entstanden zahlreiche Brauereien, und der Bierkonsum nahm gerade in den Industriestädten zu. Fortschritte wie die Entdeckung des Hefepilzes oder die Erfindung der Eismaschine trugen dann dazu bei, die Qualität des Biers zu erhöhen. Die Kehrseite war, dass die Industrie nun sehr kapitalintensiv wurde. Um die Investitionen in die Produktionsanlagen zu amortisieren, mussten neue Absatzmärkte erschlossen werden. Da das Schweizer Bier keine über die Landesgrenzen hinausreichende Ausstrahlung besass (S. 53 und 58), umwarben die Brauereien im Zuge der sogenannten «Hektoliterjagd» die hiesigen Wirte und banden sie mit exklusiven Bierlieferverträgen an sich (S. 86f.).

Die konkurrierenden Brauer waren seit 1877 im Schweizerischen Bierbrauerverein (SBV) organisiert (S. 103). Verschiedentlich versuchten sie, ihre Aktivitäten noch weiter zu koordinieren: So gab es von 1907 bis 1910 einen Kundenschutzvertrag, mit dem sich die Brauer gegenseitig ihre Kunden, sprich die Wirtschaften garantierten (S. 108). Trotzdem blieb der Wettbewerb stark – der Weg zum Kartell war keineswegs geradlinig. Die Anliegen der Arbeiter, welche gelegentlich mit Streiks und Bierboykotten auf sich aufmerksam machten, waren Sache des Verbands Schweizerischer Brauereien (VSB, S. 116f.). Mit dem Ersten Weltkrieg begann eine schwierige Zeit. Die Brauer reagierten mit der Durchsetzung höherer Zollschranken gegen Importe, mit der Diversifizierung in Mineralwässer und Süssgetränke sowie mit einem «Sanierungsvertrag » mit dem Wirteverband, der wiederum den Brauereien ihre Absatzstellen garantieren sollte. Als sich eine stärkere Steuerbelastung des Biers abzeichnete, schlossen die Brauereien 1935 einen als «Konvention» bezeichneten Kartellvertrag ab. Hier wurden Verkaufsregionen abgegrenzt, Verkaufspreise festgelegt und Qualitätskriterien vorgeschrieben. Ziel war es, möglichst günstiges Bier anzubieten. Die Konkurrenz wurde so weit nötig ausgeschaltet, um Kosten zu vermeiden. So entwickelte das Kartell eine grosse Aktivität in der Gemeinschaftswerbung: Bier wurde als hochwertiges und einheimisches Getränk für alle Bevölkerungsschichten und für Mann und Frau propagiert. Kartelle gab es in zahlreichen Branchen, etwa in der Zement- oder der Kabelindustrie.

So lange sie nicht offen missbräuchlich waren, galten sie nicht als
schädliche Behinderung des Wettbewerbs, sondern als legitimer Ausfluss der
Vertragsfreiheit (S. 133f.), was neuerdings in der Wirtschaftsgeschichte wieder
stärker betont wird.1

Trotz Absatzrekorden versuchten die Unternehmen ab 1970, die Zwänge des Kartells zu umgehen, und zwar nicht nur mit neuen Biersorten und alkoholfreien Getränken, sondern auch mit Zusammenschlüssen. Der Konjunktureinbruch der 1970er Jahre traf die Bierindustrie hart. Zum Zeitpunkt des 100-Jahre-Jubiläums des Branchenverbands 1977 stand das Kartell längst in der Kritik, und innerhalb des Verbandes gärte es. Erneute Kämpfe um Absatzkanäle, Übernahmegerüchte und bald auch Betriebsschliessungen mischten das bisher ruhige Klima in der Branche auf (S. 179). 1991 lief der Kartellvertrag aus. In der Folge wurden die aus zahlreichen Fusionen und Übernahmen entstandenen Gruppen Calanda Haldengut und Feldschlösschen durch Heineken respektive Carlsberg übernommen, freilich nicht ohne Mithilfe der verkaufswilligen Schweizer Brauer (S. 191f.).

Das Buch enthält neben nützlichen Angaben für den Biertrinker auch Kurzporträts der heutigen Mitglieder des Schweizer Brauerei-Verbandes und eine kommentierte Bibliographie. Ein Quellenverzeichnis fehlt dagegen, obwohl der Autor neben der Literatur und den Dokumentensammlungen des Schweizerischen Wirtschaftsarchivs mit Archiven von Verbänden und Brauereien gearbeitet hat. Der Leser findet einen reichhaltigen und flüssig geschriebenen Text sowie eine Fülle von Abbildungen. Über die Bildsprache der abgebildeten Werbeplakate hätte man gerne noch mehr gelesen (vgl. S. 166f.). Das Buch trägt auch Züge einer Verbandsfestschrift. Es eignet sich zweifellos als Geschenkbuch für Bierliebhaber. Für den Historiker ist die Lektüre ein Gewinn, denn das Thema wird gekonnt in die Schweizer Wirtschaftsgeschichte eingebettet, und das Buch bezieht sich stets auf die aktuellen unternehmensgeschichtlichen Forschungsthemen.

1 Vgl. Harm G. Schröter, Das Kartellverbot und andere Ungereimtheiten. Neue Ansätze in der internationalen Kartellforschung, in: Margrit Müller et al. (Hg.), Regulierte Märkte. Zünfte und Kartelle – Marchés régulés. Corporations et cartels, Zürich 2011, S. 199–213.

Zitierweise:
Martin Lüpold: Rezension zu: Matthias Wiesmann: Bier und wir, Geschichte der Brauereien und des Bierkonsums in der Schweiz. Baden, hier + jetzt, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 166-168.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 166-168.

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